Fordert die Finanzbehörde den Steuerpflichtigen zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung auf, so ist er gemäß § 149 Absatz 1 Satz 2 AO hierzu gesetzlich verpflichtet. Folge ist, dass sich der Beginn der Festsetzungsfrist nach § 170 Absatz 2 Satz 1 Nr. 1 AO richtet. Eine Aufforderung zur Abgabe der Steuererklärung liegt auch dann vor, wenn das Finanzamt zusätzlich ausführt, der Steuerpflichtige möge das Schreiben mit einem entsprechenden Hinweis zurücksenden, falls er seiner Ansicht nach nicht zur Abgabe einer Steuererklärung verpflichtet ist. Streitig ist, ob der Kläger zur Einkommensteuer 2006 zu veranlagen ist. Er reichte mit Schreiben vom 29.12.2011 beim beklagten Finanzamt, eingegangen am 30.12.2011, seine Einkommensteuererklärung für das Jahr 2006 ein. Neben Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit erklärte er solche aus Vermietung und Verpachtung mit einem Werbungskostenüberschuss von mehr als 5.000 Euro.
Ein Schreiben des Finanzamtes vom 20.09.2007 hat folgenden Wortlaut: „…nach dem Stand vom 10.09.2007 ist die folgende Steuererklärung hier bisher nicht eingegangen: Einkommensteuer 2006. Ich bitte, die Steuererklärung spätestens bis 22.10.2007 beim oben bezeichneten Finanzamt abzugeben. Sollte dies zwischenzeitlich bereits geschehen sein, betrachten Sie dieses Schreiben bitte als gegenstandslos. Falls Sie die Steuererklärung allerdings vor mehr als zwei Wochen abgegeben haben oder der Auffassung sind, zur Abgabe einer Steuererklärung nicht verpflichtet zu sein, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie dieses Schreiben mit einem kurzen Hinweis auf der Rückseite an das Finanzamt zurücksenden würden. Vorsorglich weise ich darauf hin, dass das Finanzamt berechtigt ist, weitere Maßnahmen (zum Beispiel Festsetzung von Zwangsgeld nach § 328 AO oder Schätzung nach § 162 AO) zu ergreifen, wenn ihm die Steuererklärung nicht bis zum oben genannten Termin vorliegt. Wegen einer bereits eingetretenen Verspätung oder wegen Nichtabgabe der Steuererklärung kann im Übrigen nach § 152 AO ein Verspätungszuschlag festgesetzt werden. Ihr Finanzamt“.
Das Finanzamt lehnte die Bearbeitung der Einkommensteuererklärung ab, weil bereits Festsetzungsverjährung eingetreten sei. Es handele sich um eine Antragsveranlagung, da keiner der Tatbestände des § 46 Absatz 2 EStG erfüllt sei. Die hiergegen gerichtete Klage hatte vor dem BFH Erfolg. Das Finanzamt habe es zu Unrecht abgelehnt, den Kläger zur Einkommensteuer 2006 zu veranlagen.
Nach § 169 Absatz 1 Satz 1 AO sei eine Steuerfestsetzung unzulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist, die vier Jahre betrage und grundsätzlich mit Ablauf des Kalenderjahres beginne, in dem die Steuer entstanden ist. Nach § 170 Absatz 2 Satz 1 Nr. 1 AO in der für das Streitjahr geltenden Fassung beginne die Frist, wenn eine Steuererklärung oder -anmeldung einzureichen oder eine Anzeige zu erstatten ist, mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuererklärung, Steueranmeldung oder die Anzeige eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Entstehen der Steuer folgt. Eine gesetzliche Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung wird laut BFH auch dann begründet, wenn das Finanzamt den Steuerpflichtigen auffordert, eine Steuererklärung abzugeben. Teilweise werde der Regelungsgehalt einer Aufforderung zur Abgabe einer Steuererklärung und damit das Vorliegen eines Verwaltungsakts allerdings verneint, wenn sich die Steuererklärungspflicht als solche bereits aus dem Gesetz ergibt. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung stelle indes auch eine gesetzeskonkretisierende Aufforderung zur Einreichung von Unterlagen einen Verwaltungsakt dar.
Hier stelle das Schreiben vom 20.09.2007 eine Aufforderung zur Abgabe einer Steuererklärung in Form eines Verwaltungsakts dar. Der Kläger werde darin unter Setzung eines Termins unmissverständlich aufgefordert, die Steuererklärung für 2006 einzureichen, weil sie dem Finanzamt bisher nicht vorliege. Das Finanzamt weise zudem darauf hin, dass es berechtigt sei, zu Zwangsmitteln zu greifen, sollte die Steuererklärung bis zum genannten Termin nicht vorliegen. Mithin gebe die Behörde zu erkennen, dass sie sich für berechtigt hält, die Abgabe der angeforderten Steuererklärung mit den Mitteln des Verwaltungszwangs durchzusetzen. Da das maßgebliche Unterscheidungskriterium zwischen einem Verwaltungsakt und einer sonstigen behördlichen Maßnahme die Erzwingbarkeit sei, spreche dies entscheidend für das Vorliegen einer Aufforderung in Form eines Verwaltungsakts.
Dieser Auslegung stehe auch der Hinweis des Finanzamtes nicht entgegen, wonach der Kläger das Schreiben mit einem entsprechenden Vermerk zurücksenden solle, falls er die Auffassung vertrete, er sei zur Abgabe einer Steuererklärung nicht verpflichtet. Hierdurch sei die Abgabe der Einkommensteuererklärung nicht in das Belieben des Klägers gestellt, sondern nur in Aussicht gestellt worden, die Aufforderung zur Abgabe der Erklärung zu widerrufen oder zurückzunehmen, wenn der Kläger hinreichende Gründe benenne, dass ihn keine diesbezügliche Pflicht treffe. Da der Kläger demnach für 2006 zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung verpflichtet war, war die vierjährige Verjährungsfrist infolge der Anlaufhemmung nach §§ 169 Absatz 2 Satz 1 Nr. 2, 170 Absatz 2 Satz 1 Nr. 1 AO bei Einreichung der Steuererklärung im Dezember 2011 noch nicht abgelaufen.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 04.10.2017, VI R 53/15