Die Bundesregierung sollte den Solidaritätszuschlag vollständig und zügig abschaffen. Dies empfiehlt der Präsident des Bundesrechnungshofes (BRH) Kay Scheller in seiner Funktion als Bundesbeauftragter für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung (BWV). „Hierfür sollte sie im neuen Finanzplan 2019 bis 2023 die erforderlichen Planungsreserven vorsehen“, so Scheller in einem Gutachten, das die rechtlichen und finanzwirtschaftlichen Aspekte des von der Regierungskoalition geplanten Abbaus des Solidaritätszuschlags beleuchtet.
Nach den Plänen der Regierungskoalition sollen mittlere und untere Einkommen ab 2021 beim Solidaritätszuschlag entlastet werden. Im Übrigen soll der Zuschlag über das Ende des Finanzplanungszeitraums hinaus unverändert fortgeführt werden. „Diese Vorgehensweise birgt erhebliche Risiken – verfassungsrechtliche und finanzwirtschaftliche“, sagte Scheller. „Die Grundlage für den Solidaritätszuschlag fällt Ende 2019 weg. Wie im Fall der Kernbrennstoffsteuer ist die Gefahr real, dass der Bund zu milliardenschweren Steuerrückzahlungen verurteilt wird.“ Dies würde ein erhebliches Loch in die Finanzplanung des Bundes reißen, warnt Scheller.
Nach Einschätzung des BWV wäre es möglich, zumindest bis zum Ende des neuen Finanzplanungszeitraums im Jahr 2023 einen vollständigen Abbau umzusetzen – auch mit Blick auf die Vorgaben der Schuldenregel. „So sähe eine realistische Haushalts- und Finanzplanung aus, die ausreichend Vorsorge trifft“, erläuterte Scheller.
Der BWV macht in seinem Gutachten Vorschläge, wie die Mindereinnahmen gegenüber der aktuellen Finanzplanung kompensiert werden könnten. Darunter fällt eine kritische Überprüfung der Leistungen des Bundes für Aufgaben von Ländern und Kommunen sowie der vielfältigen Steuervergünstigungen. Zur Vermeidung von Einnahmeverlusten könnte gegebenenfalls auch der Einkommensteuertarif umgestaltet werden. Soweit die Regierung die im Koalitionsvertrag angestrebte Spreizung der Einkommensteuerbelastung beibehalten wolle, so Scheller, sei der zur Finanzierung der Deutschen Einheit eingeführte Solidaritätszuschlag das falsche Instrument.
Zum Hintergrund führt der BRH aus, der Solidaritätszuschlag sei eine steuerliche Ergänzungsabgabe, deren Aufkommen allein dem Bund zufließt. Er sei 1995 angesichts der damals schwierigen Haushaltslage zur Finanzierung des „Aufbaus Ost“ eingeführt worden. Diese Finanzierung laufe Ende 2019 aus; eine weitere Sonderfinanzierung der neuen Länder durch den Bund sei nicht vorgesehen. Zudem habe sich die Haushaltslage des Bundes seit 1995 deutlich verbessert. Somit entfalle eine verfassungsrechtlich tragfähige Begründung für den Solidaritätszuschlag. Ergänzungsabgaben sollten auch nur einen temporären besonderen Finanzbedarf decken.
Bundesrechnungshof, PM vom 04.06.2019