Ein Gebäude wird auch dann zu eigenen Wohnzwecken genutzt, wenn es der Steuerpflichtige nur zeitweilig bewohnt, sofern es ihm in der übrigen Zeit als Wohnung zur Verfügung steht. Unter § 23 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 Einkommensteuergesetz (EStG) können deshalb auch Zweitwohnungen, nicht zur Vermietung bestimmte Ferienwohnungen und Wohnungen, die im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung genutzt werden, fallen, wie der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden hat.
Eine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken „im Jahr der Veräußerung und in den beiden vorangegangenen Jahren“ (§ 23 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 2. Alternative EStG) liegt laut BFH vor, wenn das Gebäude in einem zusammenhängenden Zeitraum genutzt wird, der sich über drei Kalenderjahre erstreckt, ohne sie – mit Ausnahme des mittleren Kalenderjahrs – voll auszufüllen.
Die Klägerin und und ihr Bruder erwarben 1998 von ihrem Vater ein bebautes Grundstück in A zu jeweils hälftigem Miteigentum. Sie vermieteten die Immobilie anschließend an den Vater. Das Mietverhältnis endete Ende November 2004. Danach nutzte die Klägerin die Immobilie selbst. Am 02.06.2006 erwarb sie von ihrem Bruder dessen hälftigen Miteigentumsanteil hinzu. Mit Vertrag vom 07.09.2006 veräußerte die Klägerin das Objekt. In ihrer Einkommensteuererklärung für 2006 gab sie den Gewinn aus der Veräußerung der Immobilie nicht an. Das beklagte Finanzamt dagegen berücksichtigte den Gewinn und setzte die Einkommensteuer entsprechend höher fest. Es war insoweit der Ansicht, die Ausnahmeregelung in § 23 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG sei hier nicht anwendbar.
Die Klage hatte in erster Instanz keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) meinte, eine Eigennutzung scheide schon deshalb aus, weil die Klägerin im Streitjahr ihren Hauptwohnsitz in B gehabt und es sich bei dem Objekt um eine Zweitwohnung gehandelt habe, die sie lediglich für Ferienaufenthalte genutzt habe. Der Gesetzgeber habe mit § 23 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG nur beruflich genutzte Wohnungen begünstigen wollen. Die hiergegen eingelegte Revision der Klägerin führte zur Aufhebung des FG-Urteils.
Das FG habe zu Unrecht die Voraussetzungen des § 23 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG (Nutzung zu eigenen Wohnzwecken) verneint, so der BFH. Nach § 22 Nr. 2 EStG seien sonstige Einkünfte auch solche aus privaten Veräußerungsgeschäften im Sinne des § 23 EStG. Dazu gehörten gemäß § 23 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 EStG Veräußerungsgeschäfte bei Grundstücken, bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als zehn Jahre beträgt. Ausgenommen seien Wirtschaftsgüter, die im Zeitraum zwischen Anschaffung oder Fertigstellung und Veräußerung ausschließlich zu eigenen Wohnzwecken (1. Alternative) oder im Jahr der Veräußerung und in den beiden vorangegangenen Jahren zu eigenen Wohnzwecken (2. Alternative) genutzt wurden (§ 23 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG).
Der Ausdruck „Nutzung zu eigenen Wohnzwecken“ setze in beiden Alternativen lediglich voraus, dass eine Immobilie zum Bewohnen geeignet ist und vom Steuerpflichtigen auch bewohnt wird, betont der BFH. Ein Gebäude werde auch dann zu eigenen Wohnzwecken genutzt, wenn es der Steuerpflichtige nur zeitweilig bewohnt, sofern es ihm in der übrigen Zeit als Wohnung zur Verfügung steht. Eine Nutzung zu „eigenen Wohnzwecken“ setze weder die Nutzung als Hauptwohnung voraus noch müsse sich dort der Schwerpunkt der persönlichen und familiären Lebensverhältnisse befinden. Ein Steuerpflichtiger könne deshalb mehrere Gebäude gleichzeitig zu eigenen Wohnzwecken nutzen. Erfasst seien daher auch Zweitwohnungen, nicht zur Vermietung bestimmte Ferienwohnungen und Wohnungen, die im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung genutzt werden. Ist deren Nutzung auf Dauer angelegt, komme es nicht darauf an, ob der Steuerpflichtige noch eine (oder mehrere) weitere Wohnung(en) hat und wie oft er sich darin aufhält.
Anders als § 13 Absatz 1 Nr. 4a bis 4c des Erbschaftsteuergesetzes spreche § 23 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG nicht von einem „Familienheim“. Vor diesem Hintergrund biete der Wortlaut der Vorschrift keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber nicht dauernd bewohnte Zweitwohnungen und ausschließlich eigengenutzte Ferienwohnungen von der Begünstigung ausnehmen wollte, so der BFH. § 23 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 1. Alternative EStG setze voraus, dass die Wohnung im Zeitraum zwischen Anschaffung oder Fertigstellung und Veräußerung ausschließlich zu eigenen Wohnzwecken genutzt worden ist.
§ 23 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 2. Alternative EStG verlange dagegen eine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken im Jahr der Veräußerung und in den beiden vorangegangenen Jahren. Im Jahr der Veräußerung und im zweiten Jahr vor der Veräußerung müsse die Nutzung zu eigenen Wohnzwecken nicht während des gesamten Kalenderjahrs vorgelegen haben. Es genüge ein zusammenhängender Zeitraum der Nutzung zu eigenen Wohnzwecken, der sich über drei Kalenderjahre erstreckt, ohne sie – mit Ausnahme des mittleren Kalenderjahrs – voll auszufüllen.
Hier habe die Klägerin nach den tatsächlichen Feststellungen des FG den von ihrem Vater erworbenen Miteigentumsanteil im Jahr der Veräußerung (2006) und in den beiden vorangegangenen Kalenderjahren (seit Dezember 2004) in einem zusammenhängenden Zeitraum zu eigenen Wohnzwecken (§ 23 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 2. Alternative EStG) und den von ihrem Bruder erworbenen Miteigentumsanteil im Zeitraum zwischen der Anschaffung und der Veräußerung ausschließlich zu eigenen Wohnzwecken (§ 23 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 1. Alternative EStG) genutzt. Daher habe sie mit der Veräußerung des Grundstücks kein steuerbares privates Veräußerungsgeschäft im Sinne des § 23 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG verwirklicht.
Die Berechnung der festzusetzenden Einkommensteuer hat der BFH dem Finanzamt übertragen.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 27.06.2017, IX R 37/16